Nutzung von nach dem Wertermittlungsstichtag veröffentlichten Daten in der Marktwertermittlung im Rahmen der ImmoWertV/ImmoWertA
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Bei zurückliegenden Stichtagen stellt sich oft die Frage, ob in der Marktwertermittlung auch auf Informationen zurückgegriffen werden kann, die erst nach dem Wertermittlungsstichtag veröffentlicht wurden. Hilfreich wäre dies insbesondere zur vermeintlich „sicheren“ Anpassung mittels Indexreihen, Umrechnungskoeffizienten oder auch zur Anpassung von Sachwertfaktoren, Liegenschaftszinssätzen und Vergleichsfaktoren. Unter Fachleuten wird dieses Thema kontrovers diskutiert, beispielsweise in Stellungnahmen zu den ImmoWertV-Entwürfen oder in der Fachzeitschrift „immobilien & bewerten“ (Ausgaben 4/2020 und 2/2021).
Handhabung in der steuerlichen Wertermittlung
In der steuerlichen Wertermittlung ist insbesondere durch Rechtsprechung des BFH eindeutig geregelt, dass auch Informationen (insb. Marktdaten) verwendet werden sollen, die für den Zeitraum ermittelt wurden, der den Bewertungsstichtag umfasst.
„Durch den Gutachterausschuss ermittelte örtliche Liegenschaftszinssätze sind für die Bewertung von Grundstücken für Zwecke der Erbschaftsteuer geeignet, wenn der Gutachterausschuss bei der Ermittlung die an ihn gerichteten Vorgaben des BauGB sowie der darauf beruhenden Verordnungen eingehalten und die Liegenschaftszinssätze für einen Zeitraum berechnet hat, der den Bewertungsstichtag umfasst. Auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung oder der Veröffentlichung der Liegenschaftszinssätze durch den Gutachterausschuss kommt es für ihre zeitliche Anwendung nicht an.“ (BFH-Urteil vom 18.09.2019 – II R 13/16)
Handhabung in der Marktwertermittlung
Aufgrund von bislang fehlenden eindeutigen Regelungen/Hinweisen, wird teilweise (und nach Ansicht des Autors fälschlicherweise) die im Vorabschnitt dargestellte BFH-Rechtsprechung auch als für die Marktwertermittlung gültig angesehen. Häufiger wird in der Literatur zur Marktwertermittlung jedoch auf die „ex-post“-Rechtsprechung (vgl. z.B. BGH-Urteile vom 01.10.1986 – IV b ZR 69/85 und vom 07.09.2005 – XII ZR 209/02) im Zusammenhang mit zurückliegenden Stichtagen hingewiesen. Demnach sei die Wertermittlung immer aus Stichtagssicht durchzuführen und nur solche Erkenntnisse und Informationen zu berücksichtigen, die am Wertermittlungsstichtag bereits sicher erkennbar waren; d.h., dass diese auch bei der Kaufpreisbildung bereits berücksichtigt wurden. Von der genannten Rechtsprechung nicht ausgeschlossen wird hingegen die Verwendung von erst nach dem Wertermittlungsstichtag verfügbaren Bewertungsdaten (z.B. die Verwendung der NHK95/2000/2010 für Sachwertermittlungen für Stichtage vor ihrer Veröffentlichung), sofern ein ausreichender Bezug zu den Markt- und Preisverhältnissen am Wertermittlungsstichtag besteht (vgl. Sprengnetter/Kierig im Loseblattwerk „Immobilienbewertung – Lehrbuch und Kommentar, Teil 1 Kapitel 3, Abschnitt 2.4).
In dem Zusammenhang wird auch häufig auf die sog. Wurzeltheorie des BGH hingewiesen, die besagt, dass Tatsachen, die am Wertermittlungsstichtag hätten bekannt sein können, in der Bewertung zu Grunde zu legen seien (Definition der Wurzeltheorie aus Wikipedia: „Die Wurzeltheorie ist in der Wirtschaft eine Methodik, wonach bei der Bewertung von Vermögensgegenständen oder Sachgesamtheiten jene Wertveränderungen nach dem Bewertungsstichtag berücksichtigt werden dürfen, deren Ursache bereits vor dem Bewertungsstichtag liegt.“).
Neue Hinweise in den ImmoWertA
Aufgrund der unterschiedlichen Meinungen in der Marktwertermittlung hat der für die Erarbeitung der ImmoWertA verantwortliche Arbeitskreis unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Meinungen an zwei Stellen Hinweise zu der Thematik aufgenommen. Diese lauten im aktuellsten Entwurf der ImmoWertA:
Nr. 2.(4) „… Bei einem in der Vergangenheit liegenden Wertermittlungsstichtag sind die allgemeinen Wertverhältnisse und die für die Wertermittlung erforderlichen Daten (vgl. dazu auch Nummer 9.(1).3) maßgeblich, die zum damaligen Zeitpunkt vorgelegen haben bzw. bekannt waren.“
Nr. 9.(1).3: „Der Wertermittlung sind die am Wertermittlungsstichtag bereits vorliegenden für die Wertermittlung erforderlichen Daten zugrunde zu legen (vgl. Nummer 2.(4)). In der Regel erfassen diese nicht den Wertermittlungsstichtag; gleichwohl ist die Entwicklung der allgemeinen Wertverhältnisse zwischen dem Stichtag dieser Daten und dem Wertermittlungsstichtag bei der Wertermittlung angemessen und erforderlichenfalls durch eine Anpassung der Daten zu berücksichtigen.“
Weder durch die neue ImmoWertV noch durch die in Kürze veröffentlichten Anwendungshinweise zur ImmoWertV (ImmoWertA) haben sich Änderungen in Bezug auf die dargestellte Frage ergeben. Vielmehr werden in den ImmoWertA sinnvolle und praxisgerechte Hinweise gegeben, wie das Thema in der Marktwertermittlung nach ImmoWertV zu verstehen ist. Auch wenn sich über einige Hinweise der ImmoWertA streiten lässt, ist der Autor dieses Beitrags der Meinung, dass die beiden klarstellenden Hinweise sinnvoll und praxisgerecht sind. Auch wenn die Finanzämter aufgrund von entsprechenden Vorgaben anders handeln, wird eine solche Vorgehensweise in der Marktwertermittlung nach BauGB/ImmoWertV nicht sachgerecht sein. In der Praxis können solche Informationen selbstredend trotzdem als Plausibilisierung von einzelnen Werten genutzt werden; in der Begründung der Wertansätze bzw. objektspezifischen Anpassungen sollten diese Informationen (die erst dem Wertermittlungsstichtag bekannt waren oder hätten bekannt sein können) aber nicht aufgeführt werden.
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Sprengnetter-Experte Sebastian Drießen ist für Sie seit Beginn der Novellierung am Ball und hat die neue ImmoWertV sowie die zahlreichen Entwürfe zu den ImmoWertA in Stellungnahmen, Beiträgen Vorträgen und Seminaren kommentiert.
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Das neue Web-Seminar zu den ImmoWertA von und mit Sebastian Drießen bietet eine einzigartige Gelegenheit, sich frühzeitig über die neuesten Entwicklungen im Bereich des Wertermittlungsrechts zu informieren. In diesem Webinar werden Ihnen kompakt und praxisnah die relevanten und kontroversen Hinweise der Anwendungshinweise zur ImmoWertV erläutert. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf die Struktur des neuen Wertermittlungsrechts sowie die Anwendung bei vermeintlich verbindlicheren Vorgaben gelegt. In dem Zuge wird u.a. der Frage nachgegangen, was nun eigentlich unter der Modellkonformität bzw. der modellkonformen Bewertung zu verstehen ist. Natürlich wird Ihnen auch Raum geboten, um wesentliche Diskussionspunkte zu erörtern. Dieses Web-Seminar richtet sich daher an alle Personen aus den Bereichen Immobilienbewertung, -verkauf oder -finanzierung sowie insbesondere an Sachverständige und Gutachter. Nutzen Sie diese Chance, um Ihr Wissen rund um das Thema "Wertermittlung von Immobilien" zu vertiefen und auf dem aktuellsten Stand zu halten.
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